Es gibt nichts zu verlieren – So geht Gemeinwohl

Es scheint fast so, als seien am 12.02.21 Akteur*innen zusammengekommen, die nach Lösungen suchen, anhand derer Gemeinwohl und rentables Wirtschaften miteinander vereint werden kann. Expert*innen erklärten, was zu beachten ist und berichten von Kommunen, die in Kooperation mit Landwirt*innen aus der Umgebung ihre ambitionierten Ziele zur Erreichung der CO2 Neutralität erreichen wollen und von Initiativen, die Millionen Bäume pflanzen. Landwirt*innen, die Bäume pflanzen wollen sind gefragter denn je.

Der Projekthof Karnitz richtete am Freitag, den 12. Februar 2021, eine Einführungsveranstaltung zum Thema Agroforstwirtschaft aus, die von über 80 TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland besucht wurde. Was als analoger Bürgersalon für Landwirtschaftsbetriebe aus der Mecklenburgischen Schweiz bereits für April 2020 geplant war und mehrfach verschoben wurde, fand nun coronabedingt als Onlinekonferenz statt.

Kurz vor 16 Uhr: knisternde Vorfreude auf den Austausch zwischen unseren ExpertInnen und Studierenden, LandwirtInnen und AgrarberaterInnen – alle auf der Suche nach einer guten Kombination von Bäumen und Ackerfrüchten für ihre Felder. Die einen haben es mit Trockenheit zu tun, andere suchen nach Lösungen für Ackerflächen mit weniger als 30 Bodenpunkten, wieder weitere wollen mehr Diversität auf ihre Felder und in ihre Agrarunternehmen bringen. Einige sind unserer Einladung gefolgt und haben ihren Standort auf der Karte eingetragen – hier sehen wir förmlich die Bäume auf den Feldern wachsen!

Hätten wir in die Mecklenburgische Schweiz geladen, nur ein Bruchteil der Gäste die Möglichkeit gehabt, sich auf die Reise zu machen – abgesehen davon, dass es nicht sinnvoll wäre, durch ganz Deutschland zu gurken. Alles hat seine Vor- und Nachteile: die TeilnehmerInnen der Veranstaltung müssen sich beim Reinkommen keinen Schnee von den Schuhen klopfen oder mit beschlagener Brille auf die Suche nach einem Sitzplatz machen: mit einem freundlichen Plopp laufen sie in den digitalen Vorraum ein und landen einer neben dem anderen in der Bildergalerie.

In dem Einführungsvortrag von Burkhard Kayser erfahren wir, wie Bäume die Wasserverdunstung verringern, den Wind aufhalten und dass die Reihen in Nord-Süd- Achsen gepflanzt werden sollten, um die Vorteile voll nutzen zu können und Nachteile wie Beschattung so gering wie möglich zu halten – um nur wenige Aspekte zu nennen. Die Agroforstwirtschaft ist eine sehr komplexes System, weshalb im Prinzip für jeden Standort und jeden Landwirtschaftsbetrieb eine ganz individuelle Lösung gefunden werden sollte.

Reiner Guhl aus Perleberg (Prignitz) in Mecklenburg-Vorpommern berichtet im Anschluss von seinen Erfahrungen beim Aufbau seiner ersten Agroforstmaßnahmen, der Pflanzung von zwei Pappelreihen. Ohne künstliche Beregnung würden die Kartoffeln, die er dort in fünfjähriger Fruchtfolge anbaut, nicht mehr gedeihen, sein Acker hat nur 30 Bodenpunkte. Am Anfang seiner Überlegungen stand nicht die Gewinnmarge, sondern die Überzeugung, dass kein Weg daran vorbeiführt, etwas an der bisherigen Methode zu ändern. Der umtriebige Bauer, der bereits seit dreißig Jahren einen Ausbildungsbetrieb leitet und sich den Zukunftsfragen seiner Auszubildenden stellt, will weitermachen: Kastanien, Nussbäume, Sanddorn, Apfelbäume. Was er damit dann irgendwann vermarktet, ob Hackschnitzel oder Sanddornsaft, lässt er auf sich zukommen. „Sie müssen reinwachsen, mitwachsen, das ist wie ein Kunstwerk! Dies ist eine von den vielen Möglichkeiten, wie wir das wettmachen können, was wir jahrzehntelang gemacht haben: Öl und Kohle aus dem Boden befördern – und jetzt wundern wir uns, dass das CO2 nicht im Weltraum verschwindet.“

Im Anschluss daran berichtet Janos Wack von TRIEBWERK, dass Agroforstmaßnahmen für Unternehmen zur Kompensation ihrer Emissionen immer attraktiver werden: so will Nestlé im Rahmen seines Maßnahmenpakets für Klimaneutralität unter anderem 20 Mio. Bäume pflanzen, um CO2-neutral zu werden. Patagonia, ein Hersteller von Outdoorequipment, spendet 1% der Gewinne an eine Stiftung, die den Aufbau von Agroforstprojekten fördert. Auch von einer Crowdfunding-Kampagne, mit der für ein Vorhaben in kurzer Zeit 200.000 Euro von privaten Spendern und regionalen Organisationen gespendet wurden, berichtet er – das Interesse ist da und es ist groß, man muss die Leute nur ansprechen.

Ecosia investiert zwischen 10.000 und 100.000 Euro in Landwirtschaftsbetriebe mit Agroforstvorhaben. Ihr erklärtes Ziel: die wirtschaftliche Rentabilität dieser Systeme zu beweisen und damit mainstream-kompatibel zu machen. Ecosia ist ein Unternehmen, dass Gewinne nicht als Selbstzweck definiert, sondern mit ihnen Gemeinwohl erwirtschaften will. Betriebe haben mit Ecosia also einen Investor an ihrer Seite, der nicht auf den schnellen Euro setzt und der stattdessen weiß, wie lange es dauert, bis der Walnussbaum groß genug ist, um Früchte zu tragen.

Dr. Christian Böhm vom DeFAF (Deutscher Verband für Agroforstwirtschaft) berichtet von beispielhaften Kooperationsmodellen mit Kommunen. Immer mehr Städte und Gemeinden setzen sich ambitionierte Klimaschutzziele, sie müssen ihre Bewohner vor Erosionsschäden schützen und das soziale Leben im ländlichen Raum befördern. Er berichtet von einem Projekt in Brandenburg: hier wurde ein kommunales Heizwerk errichtet, mit dem die Schule sowie weitere Gebäude erwärmt werden. Durch einen attraktiven Holzpreis nur leicht über dem Marktpreis konnten Landwirtschaftsbetriebe aus der Umgebung dafür gewonnen werden, mit Pappelholz das Heizwerk zu beliefern – ein schönes Beispiel für den Aufbau von regionalen Wertschöpfungsketten in kommunaler Initiative.

Zum Abschluss stellte Herr Dr. Christian Böhm noch den Szenariengenerator „META-AfS“ vor, ein komplexes Onlinetool, dass er im Rahmen eines Forschungsprojektes an der Universität in Cottbus entwickelt hat. Durch Eingabe zahlreicher Kriterien und Faktoren können Landwirtschaftsbetriebe damit ermitteln, welche Agroforstsysteme sich für die eigenen Ackerflächen am besten eignen.

Die zahlreichen Chat-Anfragen der TeilnehmerInnen konnten zum Teil schon während der Vorträge von anwesenden ExpertInnen wie Philipp Gerhardt (www.baumweldwirtschaft.de) beantwortet werden. Burkhard Kayser und Dr. Christian Böhm standen anschließend noch für alle weiteren aufgekommenen Fragen zur Verfügung.

Es war ein Glücksfall, dass gleich mehrere der normalerweise terminlich stark eingebundenen Agroforstexperten ihr fundiertes Wissen während dieser Veranstaltung weitergeben und viele Publikumsfragen direkt „live“ klären konnten. Ein großes Dankeschön an alle hier auch nochmal von unserer Seite.

Über die zahlreichen positiven Rückmeldungen haben wir und auch sehr gefreut und hoffen, dass wir so etwas dazu beitragen konnten, die Agroforstwirtschaft bekannter zu machen.

Präsentation des Deutschen Fachverbandes für Agroforstwirtschaft (DeFAF) e.V.
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Präsentation des Deutschen Fachverbandes für Agroforstwirtschaft (DeFAF) e.V.
Agroforstwirtschaft und Kommunen

Präsentation von TRIEBWERK - Regenerative Land- und Agroforstwirtschaft Verantwortungsbewusste Initiativen für mehr Agroforstwirtschaft

Präsentation von Burkhard Kayser Agroforstsysteme in Mitteleuropa

Ausführliche Zusammenfassung des Projekthofs Karnitz e.V.