07.08.2019
Gesundheit, Teilhabe und Klima
Land in Sicht – dies war der Titel der diesjährigen Satellitenveranstaltung des Kooperationsverbundes “Gesundheitliche Chancengleichheit”. Auf der Tagung zu ländlichen Räumen am 13. März 2019 an der Technischen Universität Berlin standen Orte der Begegnung im Mittelpunkt. Wir vom Projekthof Karnitz e.V. und KMGNE waren auch dabei und stellten das Jugendkreativfestival und unsere Arbeit am Projekthof vor.
Es ging um Nachbarschaften, Orte der Begegnung, Daseinsvorsorge, Engagement junger Menschen, sowie kleiner und großer Initiativen in ländlichen Räumen, die dort wo vermeintlich wenig geht, Erstaunliches auf die Beine stellen. Der Themenfokus wurde möglich, indem Gesundheit nicht nur physisch, sondern vielmehr psychisch und sozial(-räumlich) diskutiert wurde.
Der Mensch als homo socius, der Mensch als Gefährte ist ein “gesunder” Mensch
Die Hauptthese der Konferenz lautete: Wenn wir Räume schaffen, in denen sich Menschen solidarisch begegnen können, trägt dies zum gesundheitlichen Wohlergehen der Menschen bei. Von den kleinen Zellen der Begegnung aus können beständige Sozial- und Kulturräume entstehen, die den ländlichen Raum beleben und zum “bürgerschaftlichen Wohlergehen” beitragen. Wenn diese Orte der Begegnung dann noch in eine kommunale Gesamtstrategie integriert werden, können sie Menschen und die Gesellschaft nachhaltig stärken.
Gesundheitliche Chancengleichheit als entwicklungspolitisches Ziel
Als entwicklungspolitischer Auftrag bedeutet dies, die Chancen zu einer gesundheitlichen Entwicklung anzugleichen. Dies meint zum einen den Ausbau der allgemeinen Gesundheitsversorgung und -prävention im ländlichen Raum, also den gesundheitlichen Bereich der Daseinsvorsorge, z.B. Ärzte, Apotheken, Sucht- und Krisenberatung. Eine “Gute Gesundheitsversorgung” ist ein entwicklungspolitisches Ziel der AGENDA 2030 (Sustainable Development Goal 3, kurz SDG).
Zur Chancengleichheit gehört nicht nur der strukturelle Zugang, sondern auch, dass Menschen ein selbstbestimmtes Leben, unabhängig von Diskriminierung durch Armut, Alter, Behinderung, Herkunft führen können. Auch dies fordert ein Nachhaltigkeitsziel: Bis 2030 sollen “alle Menschen zur Selbstbestimmung befähigt sein und ihre soziale, wirtschaftliche und politische Teilhabe soll gefördert werden” (SDG 10, Ungleichheit verringern).
Umweltgerechtigkeit in sozial benachteiligten Räumen
Im Hinblick auf die Klimakrise kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: Die Verknüpfung von Umweltgerechtigkeit und Gesundheit. Dieser Zugang war nicht Teil der Konferenz, wird jedoch in einer Debatte um eine gesundheitliche Chancengleichheit zunehmend an Relevanz gewinnen.
“Umweltgerechtigkeit zielt darauf ab, eine Konzentration gesundheitsrelevanter Umweltbelastungen wie Lärm oder Schadstoffe in der Luft in sozial benachteiligten Quartieren und Wohnlagen zu vermeiden oder abzubauen sowie ihren Bewohnerinnen und Bewohnern den Zugang zu gesundheitsbezogenen Umweltressourcen – dazu gehören Grün- und Freiflächen – zu ermöglichen.” (Deutsches Institut für Urbanistik)
Dazu gehört auch Wasser. Während in Deutschland die Dürre bisher vor allem die Binnenschifffahrt oder die Kühlung von Kraftwerken betrifft und es bislang in nur wenigen Kommunen Verteilungsdiskussionen um Wasser gibt (Tendenz steigend), wird in Kapstadt das Trinkwasser mit den Tanklastern zu den Durstenden gebracht (anderorts gelingt nicht mal das), gibt es in Israel politische Verteilungskämpfe um die überlebenswichtige Ressource Wasser.
Die Debatte um Umweltgerechtigkeit weist auf ein Gefälle hin, das zwischen Nord und Süd und zwischen arm und reich, Stadt und Land verläuft. Was das nun für den ländlichen Raum des globalen Nordens, genauer Ostdeutschlands bedeutet, ahnen wir bereits, wenn wir aktuelle Entwicklungen betrachten: prekäre Daseinsvorsorge, Monokulturen und Pestizide in der Landwirtschaft und sterile Privatgärten, fehlende resiliente Strukturen für den Umgang mit der Klimakrise.
Gesundheit braucht Klimagerechtigkeit
Noch deutlicher macht das die Gruppe der Kritischen Mediziner*innen in Deutschland. Auf dem diesjährigen Klimacamp im Rheinland wird es eine Konferenz zu “Health&Climate Justice” mit dem Motto “Brücken bauen” geben. Kritische Mediziner*innen kommen zusammen, um Gesundheitsaktivismus in die Debatte um Klimagerechtigkeit (als normatives politisches Konzept) zu integrieren. In der Ankündigung wird die Forderung nach mehr Begegnungsräumen laut und einem Gesellschaftswandel, der bereits im Kleinen erfahrbar ist. Eine konkrete Position zu Gesundheit und Klimagerechtigkeit gaben die Aktivist*innen bereits im letzten Jahr in dem Papier “Gesundheit braucht Klimagerechtigkeit“. Dort schreiben sie: “um einen gesellschaftlichen Wandel möglich zu machen, wollen wir – Menschen die auf unterschiedliche Weise im Gesundheitssektor tätig sind – die realen Risiken und Folgen des Klimawandels kommunizieren.”
Für die entwicklungspolitische Debatte im Inland bedeutet dies, dass die Entwicklung zu einem “Guten Leben” (Buen Vivir) interdisziplinär und jenseits der Grenzen der einzelnen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) geführt werden muss: Klima, Gesundheit, Teilhabe als eine Argumentations- und Handlungslinie für einen chancengleiche Entwicklung. Der gesellschaftspolitische Kontext ist der neoliberale Kapitalismus, dessen Auswüchse mitdiskutiert werden müssen. Denn Kapitalismus wird in der Klimakrise zum globalen Gesundheitsrisiko.
Die ausführliche Dokumentation der Veranstaltung “Land in Sicht II” mit den Beiträgen der Referentinnen und Referenten, Zusammenfassungen der Ergebnisse und Diskussionen sowie Impressionen können online abgerufen werden.
Hier der Beitrag Klimakrise wirkt sich drastisch auf die Gesundheit aus von einskommafünfgrad, die Plattform über Leben in der Klimakrise in der Mecklenburgischen Schweiz.
von Simone Hieber