Engagement ist Bildung an sich
Klimanotstand

Education for Sustainable Development: Towards achieving the SDGs (ESD 2030) Ein Kommentar von Océane Gobin, 09.03.2021

Die Umsetzung die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinigten Nationen ist eine tägliche Frage. Sie zeigen einen „idealen“ Horizont für 2030 auf. Ideal meint einen Horizont, der eine überlebensfähige Entwicklungsperspektive skizziert. Jetzt kommt die Arbeit: Diese Ziele müssen konkret an viele verschiedene Lagen und Bereiche des Lebens angepasst werden. Im Rahmen meiner Arbeit in Karnitz frage ich mich nun täglich, wie ich Projekte entwickeln kann, die im ländlichen Raum, für jungen Menschen, im Sinn der SDGs sinnvoll und kreativ sind. Mir ist es wichtig, die Werte, die in den SDGs impliziert sind, über reale Veränderungen zu vermitteln und dabei gemeinsam zu lernen, sich auszutauschen und selbst aktiv zu werden. Deswegen ist das Konzept „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ (BNE) im Mittelpunkt mein Berufsalltags.

2019 hat die UNESCO einen Rahmen für die Implementierung der Bildung für Nachhaltige Entwicklung nach 2019 (Framework for the implementation of Education for Sustainable Development (ESD) beyond 2019) veröffentlicht. Eine deutsche Übersetzung gab es bislang nicht. So haben zivilgesellschaftliche Einrichtungen das Heft in die Hand genommen – etwas, was in den anstehenden Veränderungen wohl dauerhaft geschehen muss, wenn sie wirksam werden sollen. BildungsCent e.V. (Silke Ramelow), Germanwatch (Stefan Rostock, Daniela Baum) und das Haus der Kulturen der Welt (Eva Stein) haben also eine komprimierte deutsche Übersetzung verfasst.

UNESCOFrameworkESD 2030: Towards achieving the SDGs –UNESCO-Programm BNE 2030
Deutsche Übersetzung –ausschnitthaft und komprimiert

Dieses Dokument zeigt deutlich, dass Bildung und Nachhaltigkeit untrennbar miteinander verbunden ist, dass es alle Generationen betrifft und das alle Aspekte des Menschenlebens eingeschlossen sind. Die politische Dimension ist durch den Satz „BNE in Aktion ist grundsätzlich Bürger*in-sein in Aktion“ ausgedrückt und das ist es, was sogenanntes transformatives Lernen ausmacht. Das Lernen wird hier als lebenslanger Prozess betrachtet, das nicht nur (und gar nicht zuallererst) in formalen Strukturen wie in Schulen stattfindet und das Disruption und kritisches Denken als Elixier braucht. Engagement ist also eine Art Bildung an sich. Hier entfernt sich die Bildung von einem passiven Modell, in welchem ein Lernender Wissen von einem Lehrer bekommt. In eine nachhaltige Gesellschaft werden wohl viele Menschen Akteure ihrer eigenen und gemeinsamen Bildung sein, in dem sie sich für die sich verändernde lokale und globale Welt fit machen. Also ist Lernen im ureigensten Interesse und selbstbestimmt; mensch teilt Kenntnisse und generiert neues Wissen um selbst und mit anderen transformativ Handeln zu können.

Das ist eine der Grundideen, die seit 2015 hinter dem Jugendkreativfestival, das hier in Karnitz für ganz MV offen ist, stehen.

Dafür muss man aus der gewöhnlichen Denkweise gradliniger und konfliktloser Entwicklungen rauskommen. Kinder und Jugendliche „müssen“ zwangsläufig kritik- und innovationsfähig sein und ebensolche Kompetenzen entwickeln, um die Erfahrungen der älteren Generationen ins Licht der Zukunftsanforderungen zu bringen, sie im neuen Kontext des Anthropozäns zu bewerten. „Handwerkliche“ Fähigkeiten, also fehlerarm etwas machen, wird in vielen Schulsystemen kaum unterrichtet. Offensichtlich sind sie aber im Alltag nötig und der Alltag vieler Erwachsener zeigt, dass sie unter den sich verändernden Umständen nicht gekannt und beherrscht werden. Im UNESCO-Text wird BNE deshalb als eine gemeinschaftliche Aufgabe beschrieben, die nicht nur darauf verweist, dass die Resilienzfähigkeit v.a. eine sozialpolitische und erst in zweiter Linie eine individuell-psychologische  ist und dass Erwachsene, die ja die heutigen Entscheider über zukünftige Situationen sind, dringend Zielgruppe von BNE werden müssen.

Da aber liegt eine bedeutende Schwierigkeit für unsere aktuellen Bildungssysteme, die oft überfordert sind. Notwendige tiefe strukturelle Veränderungen fordert die UNESCO, beschreibt leider gar nicht, wie sie aussehen könnten.
In diesem Kontext ist es für Orte wie den Projekthof Karnitz umso wichtiger, sich für die Transformation von BNE selbst einzusetzen und zusammen mit anderen formellen und informellen Akteuren dafür zu arbeiten.
Obwohl die Bevölkerung der Mecklenburgische Schweiz nicht unter die Definition der extremen Armut fällt, ist der Punkt 4.11 für unsere Arbeit sehr relevant. Dieser Punkt wirft die Frage auf, ob BNE ein Luxus ist. Extreme Lebenssituationen machen es auf jeden Fall komplizierter, Bildung überhaupt umzusetzen. Im Sinn von Paolo Freire wollen wir das umdrehen in lebensweltliches Lernen, so wie nachhaltige Entwicklung selbst lebensweltliche Entwicklung ist. Wie im Text erklärt wird, brauchen die Menschen in solchen Situationen transformierende BNE am meisten, um die strukturellen aber auch mentalen Probleme auf Dauer zu lösen. So müssen wir auch die Schwierigkeiten, die die Leute in unserer Nähe erleben, betrachten. Jugendliche auf dem Dorf, zum Beispiel, brauchen informelle Bildungsorte, informelle Lernarrangements, die mit dieser ihrer sich verändernden Lebenswelt zu tun haben. Genau deswegen, muss besonders viel Aufmerksamkeit diesen Jugendlichen gewidmet werden – alte, bornierte Lernangebote und Weltsichten bekommen sie genug.

BNE soll die Kompetenz-Basis nachhaltiger Gesellschaften aufbauen; dafür soll sie verbreitet und daraufhin angepasst werden. Hier in der Mecklenburgische Schweiz sind unsere Herausforderungen in diesem Sinne ziemlich klar: Zugang zu passender BNE schaffen, Partnerschaften zwischen informelle und formelle Bildungsangebote schließen, lokale Probleme über BNE angehen und Gemeinschaften stärken.