Soundspiel unseres Lebens – „Right Here Right Now“ (FAT BOY SLIM)

31.12.2017

Netzwerk und Soundspiel

Nach der Erarbeitung von Kompositionstechniken (I) und der Anwendung dieser Kompositions- und Kreativitätstechniken auf das Liedermachen (II) führte der dritte Ferien-Workshop der Reihe Klangbilder das Erlernte in einem „Soundspiel“ zusammen. Der Begriff für unser Werk aus selbst komponierter Musik, Klängen und darstellerischen Elementen, leitete sich von zwei der Schnittstellen unseres Workshop-Lernexperiments her – Klängen und Spiel. Diesmal war unsere Arbeit gezielt räumlich-netzwerkartig strukturiert, auf verschiedene wiederkehrende Schnittpunkte in der Organisation unserer Thematik – unseres Lebens – bezogen.

 Diese „Rückkehrpunkte“ waren Handlungen, Begriffe, Modelle oder auch Arbeitsweisen: ein kartesisches Koordinatensystem (als Kreativitätstechnik), zum Teil mit einer bärtigen Person im Mittelpunkt des Hier und Jetzt, nach deren Wohin und Woher gefragt wurde, der Begriff „Anthropozän“, dem im Bereich der Geologie geprägten Begriff vom Zeitalter des Menschen, der die Gewalt menschlichen Einflusses auf die Erdentwicklung zu fassen versucht, das Musizieren, das Spiel in vielfachen Formen – Fußballspiel, Kartenspiel –, das Soundspiel als musikalisch-performative Parallele und Ziel unseres (utopischen, Workshop-) Spiels des Lebens.

Anhaltspunkte für den Bezugswechsel war offensichtliche Anschlussfähigkeit (etwa, wenn es eine aus dem Fußballspiel abzuleitende Kompositionsidee zu erproben galt), aber auch die Situationen der Ermüdung und des Festfahren von Versuchen. „Machen wir an dieser oder jener Stelle weiter und kehren dann zurück“, hieß es dann.

„Wie im Leben“, konnten wir sagen, wenn wir so Widersprüche erlebten, die doch parallel existieren konnten, wenn wir Längen erlebten, wenn etwas überraschend klappte – oder wenn die Zeit in Selbstvergessenheit verschwand.

Grundstruktur von Lebensäußerungen in Diagramm und Zeichnung

Die ersten Übungen zum Strukturieren gingen von der Grundmetapher des Diagramms aus, in dem wir im Brainstorming oder nach verschiedenen Zufallsprinzipien zusammengestellte Begriffe unserer Umwelt in einer sinnhaften Grundstruktur ordneten.

Mit der Arbeitsrichtung sinnhaft → sinnvoll wurde dieses diagrammatische Herantasten mehrfach durchlaufen. Vor allem auf dem Weg ikonischen Arbeitens, mit kleinen sich auseinander entwickelnden Zeichnungen, haben wir Begriffe zueinander gebracht und mit ihnen beschreibbare konkrete Lebenssituationen gewonnen.

In der ersten Runde schwirrten die Begriffe im Raum, standen auf Büchern, waren in unseren Gedanken, im Medium der eigenen Erfahrungen. Ordnungsleistung, schöpferische Leistung war, aus den in großer Freiheit gewonnenen Begriffen solche auszuwählen, die für die Charakterisierung unseres Lebens besondere Bedeutung haben könnten, und diese als Dimensionen unseres Koordinatensystems zu differenzieren: Baldo beschrieb das so: „Wir hatten z.B. Notenständer als Begriff für Kreativlosigkeit, als Gegenteil von so einer kreativen Sache wie Musik. Tabu, das Spiel, ist ein Inbegriff für Kultur, weil es gemeinschaftlich ist und viel mit Sprache zu hat und halt auch ein Spiel ist. Und je weiter wir auf dieser Achse zurückgehen, desto weniger kultiviert ist etwas. Und Computer haben wir für künstliche Intelligenz genommen. Also, je mehr Computer, um so intelligenter ist etwas, aber auch künstlicher. Und dann haben wir aus diesem Diagramm, hier an diesem konkreten  Punkt, die Aussage: Kreativlosigkeit bei Kultur im Minusbereich ist verbunden mit dezent erhöhter künstlicher Intelligenz.“ 

Aus spielerisch gefundenen Begriffen wie „endoplasmatisches Retikulum“, „Malchin“ oder „Dezember 2052“ (als Zukunftsjahr, das man ja auch wieder stufen kann in Jahre, Monate, in Wochen, in Tage, Stunden, Sekunden…) sinnhafte Aussagen zu gewinnen – das erlebten wir als originelle Interpretationsleistung, Erfahrungsleistung, Lebensleistung, Erfolg: „Im August 2052 ist in Malchin das Lebensgefühl leicht positiv bei niedriger Komplexität“ oder eben auch „Kreativlosigkeit bei Kultur im Minusbereich ist verbunden mit dezent erhöhter künstlicher Intelligenz.“

Hervorzuheben ist der fruchtbare Wechsel zwischen den Arbeitstechniken des Schreibens und des Zeichnens, gerade letzteres mit viel Mut, Selbstbewusstsein und inspirierendem Lachen den Textbezug fördernd. Gelungene Zeichnungen und Diagramme wurden für die Workshopzeit an den Wänden fixiert, um Rückbezug und Modifikationen einfach zu machen.

Dann fanden wir – beim Fußballspielen – heraus, dass Musik Grundstrukturen aufweist, die unseren lebensweltlichen Bild-Wort-Diagrammen ähnlich sind!

Musizieren als kreatives Medium, Spärenharmonie

Die Ideenfindung und -entwicklung im Medium von Musik und Klang (Improvisation an Instrumenten und Gesang) war eine Besonderheit unserer Arbeit. Es war im Workshop möglich, statt einer Antwort ein musikalisches Thema präsentiert zu bekommen – oft aber auch die Antwort selbst in Form einer Melodie, eines Klanges oder Liedes. Gesprächsdynamik wurde durch Hintergrundmusik an der Ukulele oder Trommeln (durchaus von Laien) gefördert. Ergebnis unser Improvisationen war unter anderem die Klang-Performance „Fahrrad-Symphonie“, die das regionale Kunstfest „Altkalener Herbst“ sowie eine Weihnachtsfeier in Malchin eröffneten.

Von dieser Grundlage aus haben wir uns von Ideen zu dreidimensionalen Kompositionstechniken, deren formalen Bezug zu „unseren“ ordnenden Diagrammen, inspirieren lassen. Die Anregung lieferte der Designtheoretiker Abraham B. Moles, der in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts für die Darstellung von Tönen dreidimensionale Klangportionen im Raum (bestimmt von Dauer, Lautstärke und Tonhöhe) vorschlug.

Tim fand davon ausgehend einen Bezug von Musik und unserem Workshop-Fußballspiel: „Die Abdrücke der Fußbälle [auf den Fußballtoren aus weißen MDF-Platten – d. A.] sind dadurch entstanden, dass wir gegen die Leinwände geschossen haben und ich habe dabei eine Ähnlichkeit des Punktmusters zu Noten auf einer Notenlinie entdeckt. Durch die Abstände der Abdrücke zueinander und der vertikalen Ausrichtung, habe ich die beiden Bilder in Stücke umgesetzt.“

Dimensionen für unsere Idee des Soundspiels waren von hier aus: Musikalität als Paralleluniversum zur Lebenswelt des Menschen, Widerspiegelung unserer thematisch bezogenen Strukturierungs- und Differenzierungsleistungen und unserer Lebenskultur hier vor Ort in der einzelnen musikalischen Form – und in der Dramaturgie und Musik der spielerischen Performance des Soundspiels, in dem sich unsere Lebenswege kreuzen.

Bildlichkeit des Fußballspiels

Die Verknüpfung des Fußballspiels mit Musik gehörte zu unserem Verständnis vom Soundspiel des Lebens. Unser Leben, unsere Freude daran, Individualität und Kreativität, Gemeinschaft und Synergie findet sich in unseren Spielen.

Die Abdrücke von scharf geschossenen, gelupften oder leicht touchierenden Fußbällen auf großen weißen Tafeln hatten nicht nur musikalischen Gehalt, sie spiegelten Spiel in inspirierender Bildlichkeit. Auch unsere Fußball-Tafeln waren ein Höhepunkt auf dem Kunstereignis „Altkalener Herbst“.

Neben Fußball gehörten die Kartenspiele „Tabu“ und „Bullshit“ sowie das Brettspiel „Siedler von Catan“ zu den Knotenpunkten, sie wurden teils analysiert und waren Grundlage für Episoden des Soundspiels.

Multidimensionalität – Narrativität

Das Erzählen und Weiterspinnen von Episoden entwickelten wir im Rekurs auf unsere diagrammatische Kreativitätstechnik. In einer zweiten Runde haben wir uns dabei Gedanken gemacht, wie Personen und Dinge an ihren Ort, in ihre Situation im Hier und Jetzt kommen. Beispiel war uns ein Werbefoto, das seine inhärente, bezweckte Story hat, aber ebenso die Geschichte seiner Produktion oder etwa die der Episode im Leben des abgebildeten Models. Die Geschichten führten jeweils zu diesem Bild, kreuzten sich in seinem Moment und entfernten sich von ihm.

Der Koordinatenmittelpunkt repräsentierte uns den Gegenstand (oder auch ein Ereignis, eine Person), die Dimensionen unserer Koordinatensysteme wurden zu Dimensionen im Sinne von Geschichten, in die der Repräsentant jeweils eingebettet war. Ein Übergang von differenzierbaren Werten und Begriffen zu Narrativität und mehrdimensionalen Geschichten.

Wir überlegten z. B.: Wie kommt das Fahrrad, auf dieses Foto, in diese Stadt, auf dieses Deckblatt, der Faltkarte von Malchin.

Hannah erinnerte sich: „Wir hatten beispielsweise die Idee, dass das Fahrrad programmiert wird vom Handy, oder dass die Aliens das Fahrrad auf die Erde gebracht haben. Wir hatten dann noch mehrere Ideen, beispielsweise, dass die CIA das Fahrrad mit ihrem Spionageflugzeug und das Fahrrad als Spion nach Malchin heruntergelassen hat und ähnliches…“

Diese Mehrdimensionalität, das Überschneiden von Lebenswegen, übernahmen wir für die Struktur unseres Soundspiels.

Unser Soundspiel des Lebens – Höhepunkt

Selbst Schnittpunkt, aber auch übergeordnete Klammer unserer Unternehmungen war das Soundspiel, eine eintägige Aufführung der Verknüpfung von uns wichtigen Workshopergebnissen und -erlebnissen mit Geschichten, Bildern und Sketchen. Die Verbindung der Elemente erfolgte durch Wege und Übergänge im Medium von Raum und Musik.

Im Zentrum stand das Spiel „Siedler von Catan“, das wir von verschieden Stories, Musikstücken, Klangfolgen und Sketchen, Liedern und Performances aus erreichten und wieder verließen, zu dem wir zurückkehrten, von dem aus wir neu begannen.

Wir präsentierten auf unseren Wegen: Die „Flussetüde“ von Tim, die gemeinschaftliche Komposition GEAD, die Topfdeckelmusik, ein vollständiges, ergebnisoffenes Fußballspiel, das „Fußballmotiv“ von Tim, „Miau“, die Katzenstory, eine Bourré, ein Gericht (Kartoffelsalat),  die Geschichte vom Dschinn, den dazu passenden Spaßsong „Dshinnel Bells“, die Farradklingel-Symphonie, die selbstgemachten Lieder „Fliegen möcht‘ ich gern“, „Abenteuerlied“ und „Offenheit“, einige Minuten Schlaf und vieles mehr, in komplexer Dramaturgie und Choreografie, zum Cataner Schnittpunkt hin und von ihm weg.

Spiel des Lebens: Anthropozän – Anthropozent

Dem Bezug des Soundspiels zu unserem Leben im Großen und der Lebenswelt unserer Workshop-Utopie gaben wir eine zeichnerische Wendung, beides zu verknüpfen:
Der kartesianische Ursprung mit Anthropos, dem Menschen – uns selbst, im Mittelpunkt, wurde uns zum Leitgedanken der dritten Runde unserer kreativen Diagrammarbeit. Wir lernten, diesen Ursprung als Schnittpunkt von Entwicklungen zu verstehen (von Alltagswegen, Geschichten, evolutionären Prozessen, natürlicher Drift) in deren Zentrum der Mensch nicht zwingend bleiben muss: wer sind wir, wohin entwickeln wir uns wir, woher nehmen wir Kraft und Mut, das zu beeinflussen. Diese Fragen verankerten wir zeichnerisch in unserem Denken und nahmen sie mit auf den Weg.

Die ausschlaggebende Bedeutung menschlicher Lebensprozesse für Gefährdung und – so die Hoffnung –  Bestand der natürlichen Lebensgrundlagen auf das Hier und Jetzt zu beziehen, war eröffnende Inspiration und wurde zum Ausblick des Workshops.

Zurück ins Leben – Aufführung

Für die Vorbereitung unserer Abschlussaufführung nutzten wir die gewonnenen Erfahrungen: Die komplexe Arbeit der Reduktion des eintägigen Sondspiels auf 30 Minuten Programm für die Weihnachtsfeier des Sozialwerkes der Freikirchlichen Gemeinde Malchin und der Malchiner Tafel führten wir im Rahmen eines Kartenspiels durch. In den Runden, Pausen, durch Einwürfe und Analogien zum Spielverlauf entstand die Aufführung „Dshinnel Bells. Weihnachten im Hier und Jetzt” der Soundspiel-Familie. Und nach dem Applaus: Auf ins Leben.

von Christian Kabuß

Die Ferienfreizeit Klangbilder fand vom 21. – 30. Oktober 2017 auf dem Projekthof Karnitz e.V. statt. Der Musiker Christan Kabuß und der Wissenschaftler Joachim Borner, arbeiteten mit Jugendlichen, um deren Lebensentwürfe orientierend gestalten und reflektieren, um diese künstlerisch in verschiedene Klangbilder für eine humane Welt zu übersetzen.

Die Ferienfreizeit wird gefördert über das Programm „Kultur macht stark“.

Lokale Bündnisspartner:
KMGNE
Sozialwerk der Evangelisch Freikirchlichen Gemeinde Malchin Teterow e.V.
Kulturverein Lelkendorf